Wir werden dich nie vergessen!
Danke 2020!
Liebe Mitstreiter*innen und Osteuropa-Interessierte!

Dieses Jahr war voll von Gegensätzen, Enttäuschungen, Entdeckungen und wundersamen Geschichten. Dramatische Ereignisse, die sich im postsowjetischen Raum abspielten, mobilisierten uns zu Solidaritätsaktionen, offenen Briefen und Ausstellungen. Reise- und Versammlungsbeschränkungen veranlassten uns dazu, Zusammenarbeit neu zu denken und neue Formate zu etablieren. Trotz aller Schwierigkeiten, die Zoom-Diskussionen und Miro-Brainstormings mit sich bringen, konnten wir in der Gruppenarbeit überaus wertvolle Erfahrungen sammeln, auf die wir auch nach der Pandemie zurückgreifen werden. Einige der letzten Online-Treffen dieses Jahres haben uns die Vorteile dieser Form der Zusammenarbeit eindrucksvoll und überzeugend vor Augen geführt. Andererseits sorgten eher weniger gut gelungene stundenlange Webinare mit Vorträgen und Gruppenarbeit, bei denen die Kameras aus waren, für Ernüchterung und brachten uns dazu, auf einige Veranstaltungen komplett zu verzichten. Die gesparten Mittel flossen in Weiterbildungsprogramme für unsere Kolleg*innen und Partner, in die Weiterentwicklung unserer Organisationsstruktur und nicht zuletzt in die direkte projektbezogene Förderung von feministischen Initiativen, Kampagnen für SDGs, Ausstellungen kritischer Kunst sowie Medienprojekten in Belarus, Moldau, Georgien, Russland und der Ukraine.
Urbane Peripherien im postsozialistischen Europa
Foto: Jan Chudoschilow, Georgien (Eastern Blocks)
Das zweijährige Projekt "Act Up" zur Erforschung der Transformation von Großwohnsiedlungen (Mikrorayons) und des Dialogs zwischen Urbanist*innen geht zu Ende. In Tiflis wurde der Workshop "Gldanipoli" abgeschlossen, dessen Ergebnisse als Grundlage für die Entwicklung des kostenlosen Online-Spiels dienten, das die Herausforderungen und das Potential von Mikrorayons erlebbar, nachvollziehbar und analysierbar macht. In wenigen Tagen geht unser Buch in den Druck, welches die Ergebnisse der Forschungsarbeit zur Transformation urbaner Peripherie sowie der Studienreisen in Berlin, Leipzig, Halle, Tiflis, Kiew, Minsk und Moskau beleuchtet. Neben den Analysen finden sich darin auch zahlreiche Fotos aus dem Wettbewerb "Eastern Blocks". Ein Teil des Materials ist auch auf der Projektwebsite und die Fotos von Plattenbauten sind im gleichnamigen Instagram-Auftritt zu sehen. Als Höhepunkt des Projektes findet im Januar 2021 die Fotoausstellung im Haus der Statistik statt. Wegen der aktuellen Einschränkungen kann die Ausstellung nur an den Tagen besucht werden, an denen Workshops und Kinovorführungen stattfinden. Mehr dazu Anfang Januar auf unseren Social Media.
Soziale Innovationen für SDGs
Seit 2015 betreiben wir Programme zur Unterstützung von Menschen, die sich in NGOs und unabhängigen Umwelt- und Menschenrechtsinitiativen engagieren. Unser Hauptaugenmerk liegt dabei auf den Instrumenten des Social Entrepreneurship und der Erforschung seiner Bedeutung für die Erreichung globaler Nachhaltigkeitsziele (SDGs). In diesem Jahr führten wir Fortbildungsmaßnahmen und Pitches größtenteils über Zoom durch. An einem unserer SOIN-Programme "Innovate for Change" nahmen 30 Personen teil, von denen fünf Teilnehmende bei den Pitches mit ihren Projektideen überzeugten und Unterstützung Förderungen für das Testen ihres Vorhabens und neuen Produkten bekamen. Zu den Siegern gehört die Stiftung "Wtoroje Dychanije“ (der Zweite Atem) mit ihrem Förderprogramm für junge Sozialunternehmer*innen, die in ihrer Region einen Wohltätigkeitsladen eröffnen möchten. Die höchste Jury-Wertung bekam das Design-Projekt "Be easy kid" zur Entwicklung von anpassungsfähiger Kleidung für Kinder mit Behinderung. Weitere Sieger waren der Waste-Cooking-Onlinekurs von "Trava", der Workshop für Medienkompetenz in Tscheljabinsk und die Gemeinschaft junger Aktivist*innen in Wjasma. 12 Pitch-Sieger sollten nach Berlin kommen, das Programm mussten wir jedoch auf April 2021 verlegen.
Im Sustainable Development Lab beschäftigten wir uns mit der Untersuchung zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele in Russland und den Ländern der Östlichen Partnerschaft. In Kooperation mit der Open School for Sustainable Development wurde eine umfassende Analyse zur Situation mit den SDGs in Russland veröffentlicht. Zwei weitere Berichte zu Belarus und Moldau sind in der Arbeit und werden Anfang 2021 präsentiert. In der Ukraine absolvierten 20 Teilnehmende den Kurs zu den Grundlagen der Nachhaltigkeitsziele und des Sozialunternehmertums und präsentierten ihre sozialen und ökologischen Projekte bei virtuellen Pitches am Leadership Institute der Katholischen Universität Lwiw. Während der globalen Aktionswoche in September bekamen fünf Projekte eine Förderung für die Durchführung von Jugend-Bildungsprogrammen im Hinblick auf die Nachhaltigkeitsziele und soziale Innovationen.
Wie steht es um die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele 2030 in Russland?
Civil Society Review on SDG Implementation in Russia. Read and Download
Um dieser Frage nachzugehen, wurde im Januar nach der Konzept-Präsentation im Rahmen des "Gaidar-Forums" die "Koalition für die nachhaltige Entwicklung des Landes" (КURS) ins Leben gerufen. Sie vereint 30 Expert*innen, über 100 NGOs, Stiftungen und Bürgerinitiativen aus 40 Regionen sowie ausländische Partnerorganisationen aus Deutschland, Niederlande und Finnland. Dekabristen e.V. beteiligte sich aktiv an der Entwicklung der Koalition und der Erstellung des Kapitel zum SDG 17 „Partnerschaften zur Erreichung der Ziele“. Das Fazit des ersten unabhängigen Berichts zu Russland ist ernüchternd. Fünf Jahre, nachdem das Land die UN-Resolution zur Agenda 2030 unterzeichnet hatte, zeigt sich – neben gewissen Fortschritten bei Armuts- und Hungerbekämpfung und bei Infrastrukturentwicklung – eine ganze Reihe von negativen Trends: Russland isoliert sich zunehmend von ausländischen Partnern und globalen Kooperationsprogrammen; eine Strategie zum Umgang mit dem Klimawandel ist nicht vorhanden; föderale Behörden bleiben untätig angesichts von Umweltkatastrophen bestürzenden Ausmaßes; Meinungs- und Versammlungsfreiheit werden systematisch verletzt; die Politik der internationalen Zusammenarbeit folgt nicht einer humanitären, sondern einer geopolitischen Ausrichtung und dient nicht selten den Wirtschaftsinteressen staatlicher Konzerne und loyaler Großunternehmen. Die Ergebnisse unserer analytischen Erhebung wurden im Juli auf der RBK-Pressekonferenz in Moskau und auf der virtuellen UN-Tagung in New York vorgestellt und u.a. mit dem Entwicklungsminister Russlands diskutiert. Im Herbst fanden Treffen und Diskussionen von KURS-Mitgliedern und Staatsbeamten von fünf sibirischen Regionen zu Strategien der regionalen Entwicklung statt. Für 2021 ist eine Reihe von Workshops, Konferenzen und Bildungsaktionen im Rahmen der September-Aktionswoche geplant. Den Abschluss des Projektes bildet ein Accelerator-Programm, in dessen Rahmen Sozialunternehmer*innen und andere zivilgesellschaftliche Akteur*innen mit ihren Kolleg*innen aus anderen Ländern Erfahrungen austauschen und ein internationales partnerschaftliches Projekt entwickeln werden, das der Umsetzung des SDG 17 – dem Auf- und Ausbau von Partnerschaften dienen soll. Die Auswahl der Teilnehmer*innen beginnt im Februar. Abonniert Nachrichten bei SOIN und folgt dem Projekt auf Facebook und Telegram!
Online-Kurs für politische Bildung "Citizen+"
In digitalem 2020 erschien unser erster großer Online-Kurs! Citizen+ besteht aus Erklärvideos, Interviews, Texten und Tests, in denen Grundprinzipien der Demokratie, Wahlen, Rolle der Zivilgesellschaft und Medien behandelt werden. Die Grundlage für den Kurs bilden Beispiele aus der Geschichte und der aktuellen Politik Deutschlands, Russlands und der Ukraine. Citizen+ ist bei Udemy auf Russisch und Ukrainisch kostenlos zugänglich. Auf unserer Seite stehen alle Texte und Materialien in diversen Artikeln und als PDF zum Download zur Verfügung.
Förderprogramm "Metamedia Lab“
Zur Förderung von Pluralismus und unabhängigen Medien starteten wir 2020 das „Metamedia Lab“ und unterstützten 30 journalistische Projekten, Dokumentarfilme, Podcasts und Entwicklung von Small Media aus russischen Regionen. Die ersten Publikationen sind schon bei Meduza, 7x7, Svoboda, Mediazona, Bumaga, Calvert Journal erschienen. In 2021 sind zwei weitere Fortbildungs- und Förderprogramme für Medienschaffende vorgesehen. Folgt uns auf Telegram-Kanal und abboniert das Metamedia-Newsletter, um auf dem Laufendem zu bleiben.
Das hybride Red Square Festival
Ausstellungen, Streams, Podcasts, Konzerte unter freiem Himmel und die Einhaltung der Hygienemaßnahmen machten das Red Square 2020 möglich. Das Festival fand in diesem Jahr im hybriden Format statt. Es wurde sogar ein wenig getanzt! Im Club der Kulturfabrik Moabit, wo in den Vorjahren Grechka, Trubetskoy und Aigel auftraten, fanden dieses Mal zwei Ausstellungen statt. Mit der ersten solidarisierten wir uns mit Yulia Tsvetkova, die in Russland seit mehreren Monaten Repressionen ausgesetzt ist. Während der Ausstellung sammelten wir 720 Euro, die an Yulia weitergereicht wurden, um Bußgelder für die "Verbreitung von Gay-Propaganda" unter den Jugendlichen", die an Yulias Theaterprojekten teilnahmen, zu bezahlen. Die zweite Ausstellung mit dem Titel "Belarus. Art. Revolution", kuratiert von Sergey Shabohin, widmete sich der Aktions- und der Protestkunst aus Belarus und zeigte Werke von 12 belarussischen Künstler*innen (Video-Tour). Parallel lief zwei Etagen höher, im Fabriktheater, Evgeny Mittas Ausstellung "Die gescheiterte Revolution", die die russische Protestbewegung thematisierte. Nach dem Festival besuchte Swetlana Tichanowskaja die belarussische Ausstellung im Rahmen ihres Berlin-Besuchs Anfang Oktober. Aufnahmen und die Atmosphäre des Red Square Festivals 2020 sind im Dokumentarfilm "100 Jahre Berlinograd". Der russische Mythos an der Spree" nachzusehen. Die Doku über die postsowjetischen Migrant*innen in Berlin ist nur noch wenige Wochen in der ZDF-Mediathek verfügbar. Wir danken allen Partner*innen, Künstler*innen, Musiker*innen, Freiwilligen und Besucher*innen des Festivals. Ohne Euch hätten wir es in diesem besonderen Jahr nicht durchführen können. Für das nächste Jahr haben wir beschlossen, eine Pause zu machen, auf ein großes Festival zu verzichten und stattdessen auf Ausstellungen und kleinere Events in Berlin zu konzentrieren.
Im Osten nichts Neues?
Foto: Graffiti von Valeryia Losikava im Mauerpark.10. August 2020, Berlin
Beim Fazit 2020 möchten wir uns nicht nur an unseren Highlights erinnern, sondern auch auf die Ereignisse aus unseren Partnerländern zurückblicken. Nach den Umweltkatastrophen Norilsk und auf Kamtschatka kamen auch gute Nachrichten aus Russland: Aktivist*innen konnten den Bau der Mülldeponie in Schijess und die Vernichtung des zweiten Berges in Kuschtau, Baschkortostan, verhindern. Der Wahlsieg von Maia Sandu, die erste Präsidentin der Repubik Moldau, nährt die Hoffnung auf die Fortführung der demokratischen Transformation des ehemaligen sowjetischen Landes, aber auch auf die Entwicklung des Dialogs innerhalb der Gesellschaft und der Zusammenarbeit mit der Bürgergesellschaft. Wir alle fieberten und fiebern weiterhin für Belarus und bewundern den Mut, die Standhaftigkeit und die Kreativität des friedlichen Protestes. Wir fordern, Gewalt und Folter gegen Demonstrant*innen in Belarus zu stoppen und alle politischen Gefangenen freizulassen. Grauen, Hilflosigkeit und die Hoffnung auf einen baldigen Frieden befielen uns bei den Bildern aus dem Bergkarabach: Es ist ein Krieg, bei dem es offenbar keine Sieger und Besiegte, sondern auf beiden Seiten nur Opfer geben kann. Die EU darf nicht weiter wegschauen und muss sich für die Friedenskonsolidierung in der Region aktiv einsetzen!

Die Vergiftung von Alexej Nawalny mit dem chemischen Kampfstoff „Novitschok“ demonstrierte mit aller Eindeutigkeit, dass das größte Land der Welt nach 70 Jahren Totalitarismus auch im 21. Jahrhundert wieder zu Terrormethoden greift, um seine Kritiker mundtot zu machen und politische Gegner auszulöschen. Die geradezu fantastische Entlarvung der mutmaßlichen Täter aus den Reihen des FSB gibt Grund zur Hoffnung: die Digitalisierung sowie Mut und Professionalismus von Journalist*innen und Aktivist*innen erweisen sich als wirksam im Kampf gegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Man könnte denken, all diese Ereignisse seien ausschließlich innenpolitische Angelegenheiten. Doch in einer globalen Welt haben solche Trends keine Grenzen – sie sind Teil unserer gemeinsamen Agenda im Kampf gegen den Klimawandel und für den Schutz der Menschenrechte.
Was steht bevor?
In den ersten Wochen des Jahres 2021 werden wir einige Programme und Events ankündigen, auch im Hinblick auf die Unterstützung von Journalist*innen, Sozialunternehmer*innen und queer-feministischen Projekten. Für das neue Jahr sind einige Ausstellungen und große Bildungsreisen in Deutschland und ÖPR-Ländern (finger crossed!). Die erste Ausstellung, "Eastern Blocks", wird bereits im Januar im Haus der Statistik Berlin stattfinden. Im Fokus der Ausstellung steht die Transformation der Mikrorayons in postsozialistischen Ländern. Näheres gibt es gleich nach Silvester auf Facebook, Telegram и Instagram. Folgt unsere Social Media und abonniert Projekt-Newsletter, um in 2021 unsere Streams, Events und Ausschreibungen nicht zu verpassen.

Wir danken dem Auswärtigen Amt, der Aktion Mensch, der Deutschen Welle und dem Goethe-Institut für die Finanzierung unserer Projekte. Vielen vielen Dank an alle Partnerorganisationen in Berlin und Kolleg*innen und Teilnehmer*innen in Osteuropa für die wunderbare Zusammenarbeit und für Eure Geduld bei unseren Online-Treffen.

Wir wünschen Euch ein gesundes neues Jahr!
Euer Team Dekabristen e.V.
Foto: Dmitry Pechurin, Russland (Eastern Blocks)