Statement zur Polizeigewalt und Menschenrechtsverletzungen in Belarus
Foto: Valeryia Losikava, Graffiti im Mauerpark vom 10. August 2020, Berlin
Offener Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Heiko Maas
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
Sehr geehrter Herr Bundesminister,


in Belarus beobachten wir gerade massive Verletzungen der fundamentalen Menschenrechte. In Minsk hat die Polizei an mehreren Tagen hintereinander Menschen gefasst und schwer geschlagen. Dies geschieht nicht nur bei Protestaktionen, sondern auch unmittelbar auf den Straßen, in Stadtteilen außerhalb des Stadtzentrums, in Hauseingängen, in Parks, an Straßenkreuzungen, in Bussen. Es gibt Gründe zu behaupten, dass die Polizei absichtlich Gewalt gegen unschuldige Bürger ausübt und schwere Körperverletzung begeht. Dutzende Verletzte sind in Krankenhäusern. Eine Person starb während eines Protestes, nachdem die offiziellen Wahlergebnisse bekannt gegeben worden waren. Zahlreiche Augenzeugen und Videos von Journalist*innen bezeugen die beispiellose Gewalt und die gezielten Angriffe auf Demonstranten durch Spezialeinheiten und Vertreter von Sicherheitskräften in Zivil.

Seit dem 9. August gilt im Land ein Notfallregime zur Unterdrückung der Meinungsfreiheit. Drei Tage lang blockierten die Behörden den Zugang zum Internet, zu sozialen Netzwerken und zu Informationsportalen. Fotograf*innen, Blogger*innen und Mitarbeiter*innen unabhängiger und ausländischer Medien werden buchstäblich gejagt. Die Polizei schüchtert Journalist*innen ein und bedroht sie. Ihre Autos werden angehalten, sie werden auf der Straße umzingelt, geschlagen, entführt und für mehrere Tage eingesperrt. Professionelle Ausrüstungen und Westen mit der Aufschrift „Presse" schützen die Journalist*innen nicht vor Angriffen und Inhaftierungen, sondern machen sie zur Zielscheibe für gewalttätige Aktionen der Polizei.

Tausende Menschen befinden sich in Haft, weil sie angeblich gegen die Regeln der Wahlbeobachtung und der Teilnahme an Protesten verstoßen haben. Zwei Präsidentschaftskandidaten werden immer noch in einem Untersuchungsgefängnis festgehalten und die dritte Kandidatin, Svetlana Tikhanovskaya, die Experten zufolge die Mehrheit der Stimmen erhalten konnte, musste das Land wegen Drohungen von Sicherheitsbeamten und Beamten der Zentralen Wahlkommission verlassen.

Die Präsidentschaftswahlen gingen mit einer massiven Fälschung der Ergebnisse einher, angefangen mit Manipulationen bei der Registrierung von Kandidaten und der Durchführung der Wahlkampagne bis hin zum Abstimmungsprozess und der Auszählung der Stimmen. Die Wahlen 2020 in Belarus waren weder frei noch fair und die Ergebnisse sind unrechtmäßig.

Mit der Unterstützung des Auswärtigen Amtes und des Bundeskanzleramts finden Bildungs- und Freiwilligenprogramme, zivilgesellschaftliche Projekte, Forschungsarbeiten, Konferenzen und Festivals statt, an denen unsere belarussischen Partner jährlich teilnehmen. Die Programmteilnehmer*innen und unsere Kolleg*innen aus Gomel, Brest, Molodechno, Baranovichi, Grodno, Witebsk und Minsk schreiben jeden Tag über die beispiellose Polizeigewalt und hoffen, dass der bürgerliche Protest sowie die Solidarität der europäischen Partner und entschlossene Maßnahmen der Europäischen Union die belarussischen Behörden dazu zwingen werden, die Gewalt zu stoppen und sich gemeinsam mit Vertreter*innen des Volkes an den Verhandlungstisch zu setzen. Am Dienstag, den 11. August, wurde uns mitgeteilt, dass ein Vertreter unserer Partnerorganisation, welche seit 2019 an einem unserer durch das Auswärtige Amt geförderten Programme teilnimmt, in Minsk inhaftiert wurde und in Polizeigewahrsam gehalten wird.

Die Geschichte der Wahlen 2010 hat gezeigt, dass auf die Unterdrückung von Straßenprotesten in Belarus eine massive Fälschung von Strafverfahren und eine Unterdrückung der Zivilgesellschaft folgten.

Wir fordern Sie dringend auf, die Menschenrechtsverletzungen in Belarus unverzüglich zu prüfen und alle Ihnen zur Verfügung stehenden diplomatischen Instrumente und politischen Hebel einzusetzen, um das Blutvergießen zu stoppen und eine weitere Eskalation der Situation zu verhindern. Wir fordern Sie weiterhin auf, einen entschlossenen Dialog mit Minsk zur Wahrung der Bürgerrechte aufzunehmen und sich für die Rechte der inhaftierten Demonstranten in Belarus einzusetzen.

Wir fordern die Verteidigung und Achtung der Menschenrechte und drücken den Bürgern von Belarus unsere Solidarität aus.


Team Dekabristen e.V.
Teil des Netzwerks zivilgesellschaftlicher Organisationen zum Ausbau der Zusammenarbeit der Zivilgesellschaft mit den Ländern der Östlichen Partnerschaft und Russland