Unabhängige russische Medien rufen Big Tech dazu auf, die digitale Freiheit zu retten
Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine haben Technologieunternehmen, die in den USA, der EU und anderen Staaten registriert sind, die Konten ihrer Nutzer*innen in Russland geschlossen und ihre Services ausgesetzt. Das bedeutete die Schließung von Domains, Gaming-Plattformen, Cloud-Diensten, Internetprovidern, Trading-Plattformen für Kryptowährungen und weiterer digitaler Dienstleistungen wie Software-Entwicklungen.

Während sich der Rückzug von Anbieter*innen der Unterhaltungsbranche nachvollziehen lässt, weckt das Verhalten der Anbieter*innen von Unternehmenssoftware zumindest Zweifel. Diese Software hilft uns, im Team digital zu kooperieren, Informationen weiter zu verarbeiten, mit audiovisuellem Content zu arbeiten und wir können so Zahlungen anonym erhalten. Sie ermöglicht uns einen sicheren Umgang mit Daten und sie erlaubt uns, auf derzeit blockierte Webseiten in Russland zuzugreifen. Der fehlende Zugang zu dieser Software bedeutet eine schwierige Situation für russische Medien. Einerseits sind wir täglich den zunehmenden Repressionen durch den russischen Staat ausgesetzt, andererseits versuchen wir trotz der unilateralen Beendigung der Dienstleistungen durch Big-Tech-Unternehmen unsere Arbeit für russische Nutzer*innen weiterzuführen.

Die oben genannten Schließungen werden die Menschenrechtslage in Russland verschlechtern. In Fällen von Verwaltungsverfahren oder strafrechtlicher Verfolgung, Zensur, unrechtmäßigen Entlassungen und Druck durch die Behörden an Arbeits- und Studienorten sind Veröffentlichungen, öffentliche Diskussionen und der Zugang zu kostenlosen Informationen eine der wenigen verfügbaren Einflussmöglichkeiten auf die Behörden. Das Abschalten von Internet-Backbone-Providern kann zu einer langsameren Internetverbindung innerhalb Russlands und einer geringeren Zugänglichkeit ausländischer Domains führen, was wiederum die von den russischen Behörden geförderte digitale Isolation beschleunigen wird.

Folglich werden russische Journalis*innen, Antikriegsaktivist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen den Zugang zu relevanten Informationen verlieren und würden keine essentielle Unterstützung mehr aus dem Ausland erhalten können. Der sichere Austausch von Informationen wird immer schwieriger, und für die russischen Internetnutzer*innen werden bald die einzigen verfügbaren Nachrichten en masse aus den vom Kreml kontrollierten Medien stammen. Wo Antikriegsstimmen nicht mehr gehört werden, würden die Bürger*innen die Möglichkeit verlieren, verlässliche Informationen über die aktuellen Ereignisse zu lesen, zu sehen und zu hören.

Wir rufen die internationalen Big-Tech-Unternehmen dazu auf, nicht als Kompliz*innen der russischen Regierung zu agieren, wenn es darum geht, die Isolierung des russischen Internets und die Ausrottung jeder alternativen politischen Meinung im Land voranzutreiben. Wir unterstützen die vorherigen Aufrufe von „Roskomsvoboda“ und Access Now und fordern die folgenden Maßnahmen zur Rettung digitaler Freiheiten:

  • Internetverbindungen zu sichern und den ungehinderten Zugang zum Internet und zu weltweiten digitalen Diensten für alle Internetnutzer*innen auf dem Gebiet der Russischen Föderation zu gewährleisten;
  • das Vertrauen von Internetnutzer*innen sowie die Sicherheit von Internetverbindungen und des digitalen Informationsaustauschs zu erhöhen;
  • ein befähigendes Umfeld für alle zu schaffen und zu kultureller Vielfalt und gegenseitigem Respekt online beizutragen;
  • die Rolle unabhängiger Medien und von Antikriegskampagnen bei der Prägung des aktuellen Narrativs anzuerkennen und die internationale und interregionale Zusammenarbeit zu fördern.


Ein offener Brief der Zivilgesellschaft an den Präsidenten der USA, Joe Biden, vom 10. März 2022
Eine Erklärung von „Roskomsvoboda“ vom 7. März 2022